Warum sich die Systeme kennen sollten
Kurz analysiert
Wenn Wissenschaftler*innen öffentlich über Pre-Print Studien diskutieren, könnten Medien deren Kritik falsch einordnen. Geschehen ist das im Jahr 2020 bei der Studie zur Viruslast von Kindern im Peer Review Status. Das Beispiel zeigt, was passiert, wenn Medien und Wissenschaft die Methoden des jeweils anderen Systems nicht verstehen. Damit ein Wandel gelingt, sollten sich die Vertreter*innen der Systeme in einem Dialog austauschen. Außerdem sind Trainings und beratende Expert*innen für beide Seiten notwendig.
Verstehen Medien und Wissenschaft müssen die Methoden des jeweils anderen Systems kennen. Warum und welche Ansätze helfen könnten, darum geht es im Artikel.
„Das ist eine große Verunsicherung und ein Schaden, der damit verursacht wird. […] Ich kann mir das nicht erklären, warum es dazu gekommen ist und was der Grund dafür ist.“ sagte Virologe Christian Drosten in einem Artikel1, der 2020 im Focus erschienen ist. Es ging um die Berichterstattung der Pre-Print Studie von ihm und seinen Kolleg*innen zur Viruslast von Sars-Cov-2 bei Kindern. Medien bauschten die Kritik der Wissenschaftscommunity auf. Sie unterschlugen, dass das zum wissenschaftlichen Prozess gehört. Ein paar gaben Informationen falsch wieder. Zum Beispiel machten manche Journalist*innen aus Aussagen im Konjunktiv einen Imperativ. Dadurch entstand ein falsches Bild. Dass Christian Drosten die Gründe für diese Art der Berichterstattung nicht versteht, liegt an einem grundsätzlichen Problem: Wissenschaft und Medien kennen die Methoden des anderen Systems nicht. Beide sind nach Niklas Luhmann in sich geschlossen. Damit sie funktionieren, brauchen sie einander nicht.
Anderes System kennen
Die Systeme sollten die Grundmethoden des anderen kennen. Auch für die Bürger*innen und folglich die Demokratie ist es notwendig, dass sie wissenschaftliche Erkenntnisse richtig einordnen können. Die Corona Pandemie zeigte, wie wichtig Wissenschaft plötzlich für die Menschen war. Sie und damit die Medien verlangten ständig neue Informationen über die Krankheit. Doch die Wissenschaft kann nicht sofort neue Ergebnisse liefern. Sie braucht Zeit und ist ein Prozess. Doch darauf gingen die Journalist*innen wenig ein.
Zwei Definitionen von Kritik
Im Gegenteil: Journalist*innen, wie der Bild Redakteur Filipp Piatov stellten im Falle der Viruslast Studie Fragen an die Wissenschaft, die kontraproduktiv und ohne sinnhaften Gehalt waren. Zum Beispiel fragte er Christian Drosten: „Seit wann ist Ihnen bekannt, dass es ernstzunehmende Kritik an Ihrer Studie gibt?“ Kritik ist Teil des Prozesses und dient dazu der Wahrheit ein Stück näher zu kommen. Wäre ihm das bewusst gewesen, hätte er wahrscheinlich diese Frage nicht gestellt.
Hätte Christian Drosten und sein Team gewusst, dass der Journalismus im Allgemeinen nicht die Methoden der Wissenschaft kennt, hätten sie die Pre-Print wahrscheinlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit zum Peer-Review frei gegeben. Eventuell spielte mit in die Entscheidung, dass die Wissenschaftler*innen unter Druck waren schnell Erkenntnisse über die neue Krankheit zu publizieren. Mit dem öffentlichen Peer-Review konnten sie die Chance erhöhen, dass mehr Expert*innen die Ergebnisse überprüfen und so schneller die Begutachtung abschließen. Doch solange Medien die Methoden der Wissenschaft nicht kennen, ist es sinnvoll vorher zu überlegen, welche Konsequenz ein öffentlicher Peer-Review hat.
Folgen der Unkenntnis
Dass die Beteiligten der Systeme die Methoden des anderen nicht kennen, hat Folgen. Menschen bekommen keine ausreichende Informationen und könnten am Ende der Wissenschaft nicht mehr vertrauen. Das kann in einer Pandemie fatale Auswirkungen haben. Auf lange Sicht könnte das der Demokratie schaden, weil etwas zu einem Ereignis bzw. Thema gemacht wird, was eigentlich nicht existiert. Das ist ressourcen- und zeitaufwändig und führt dazu, dass die Systeme ihrer tatsächlichen Aufgabe nicht mehr gerecht nachkommen. Zum Beispiel investierte Christian Drosten via Twitter oder durch den Podcast2 Corona Virus Update viel Zeit, um auf die Kritik seitens der Medien einzugehen.
Vorschläge fürs gegenseitige Verständnis
Damit die Vertreter*innen nicht unnötige Ressourcen verbrauchen und die Bürger*innen adäquat informieren: Wie gelingt es, dass sich die Systeme gegenseitig verstehen? Am besten über einen Dialog zwischen Wissenschaftler*innen und Journalist*innen. Allein das Verstehen hilft nicht. Im direkten Austausch bauen die Beteiligten Missverständnisse am ehesten ab. Außerdem sind Medientrainings für Wissenschaftler*innen und wissenschaftliche Methoden-Trainings für Journalist*innen hilfreich. Für einen langfristigen Wandel brauchen beide Systeme jedoch Expert*innen an ihrer Seite.
Unterstützung von Expert*innen
Natürlich sollten die Vertreter*innen grundlegend das andere System kennen. So sollten Wissenschaftler*innen zum Beispiel nicht davon ausgehen, dass Journalist*innen Übersetzer*innen ihrer Forschung sind. Neben ihrer Hauptaufgabe können sie sich nicht ausreichend mit Kommunikation auseinandersetzen. Deshalb sind sie auf Kommunikationsprofis angewiesen. Diese Expert*innen könnten aus Organisationen, Schools oder Agenturen kommen. Agenturen haben den Vorteil, dass sie durch ihre tägliche Arbeit eng mit Wissenschaftler*innen zusammenarbeiten und daher wissen, inwiefern sie Beratung und Unterstützung brauchen. Zum Beispiel in der Umsetzung von Formaten wie Podcasts. Die Nutzungsdaten-Analyse der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse (agma) zeigte, dass die meisten Abrufe (4.488.625) der Podcast SWR2 Wissen hat. Daraufhin lässt sich erschließen, dass die Rezipient*innen professionell gemachte Formate schätzen.
Genauso schadet dem Journalismus eine Expertise aus der Wissenschaft nicht. Medien berichten gerne über Ergebnisse, selten über deren Prozess. Denn ihre Rezipient*innen wollen klare Aussagen. Diese Gewissheit kann die Wissenschaft nicht bieten. Das geht gegen die Funktionsweise ihres Systems. Den Prozess mitzukommunizieren, ist daher unbedingt notwendig.
Empfehlung der Leopoldina
Zusätzlich empfehlen die Leopoldina4 der Wissenschaft ethische Grundsätze und Qualitätskriterien für die Kommunikation. Diese lassen sich wohl am besten in einem Co-kreativen Prozess mit Beteiligten aus verschiedenen Bereichen entwickeln. Dazu gehören neben Organisationen, auch Wissenschaftskommunikationsagenturen, Kommunikationsprofis oder Schools – genauso wie Forscher*innen mit WissKomm-Erfahrung. Verschiedene Perspektiven ergeben später bessere Kriterien.
Auch die Verantwortlichen der Medien sollten ihre Qualitätskriterien für die wissenschaftliche Berichterstattung vorantreiben. Außerdem sollte es einen unabhängigen Wissenschaftspresserat geben. Gesellschaftlich wäre es zudem hilfreich vermehrt in die Vermittlung des Wissenschaftsprozesses und der Medienbildung in Schulen und der Lehrerausbildung zu investieren. Denn auch die Bürger*innen wissen viel zu wenig wie Medien und Wissenschaft funktionieren.
Kennen die unterschiedlichen Systeme sich besser, wissen die Vertreter*innen wie sie sich verhalten müssen, wenn sie mit dem anderen System interagieren. Damit keine Aussagen wie diese hier mehr entstehen: „Ich kann mir das nicht erklären, warum es dazu gekommen ist und was der Grund dafür ist.“ (Christian Drosten)
Ressourcen
1 Drosten zeigt sich bei Kinderstudie kritisch, dann knöpft er sich die Medien vor – FOCUS Online
2 (46) Coronavirus-Update: Viruslast-Studie durch Update bestätigt | NDR.de – Nachrichten – NDR Info
3Wann ist ein Podcast erfolgreich? – internetworld.de
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