Kurz analysiert
Wissenschaftskommunikation ist nicht gleich Wissenschaftskommunikation. Die Gesellschaft ist divers, die Wissenschaft muss es auch sein. Das Projekt „Wissenschaft für alle“ von Wissenschaft im Dialog und dem Karlsruher Institut für Technologie zeigt: Menschen mit niedrigerem Bildungsabschluss fühlen sich von WissKomm oft nicht angesprochen. Die Kommunikator*innen verstehen und kennen die soziale Gruppe zu wenig. Mangels Zeit oder anderen Ursachen suchen sie Gespräche mit ihnen oder ihren Stakeholdern fast nie. Diese wären für eine erfolgreiche Strategie allerdings nötig.
Zielgruppe Wissenschaft sollte für alle kommuniziert werden. Im Grunde ist Wissenschaft jedoch etwas für Privilegierte. Menschen, die nicht studiert haben, fühlen sich häufig nicht angesprochen. Sie sind abgehängt und zu wenig beachtet. Wie werden diese Menschen erreicht? Anregungen hat Philipp Schrögel – Projektleiter von „Wissenschaft für alle“.
Manchmal habe ich das Gefühl: Wissenschaftskommunikation – von Akademiker*innen für Akademiker*innen. Klar, ist es einfach für Menschen aus der eigenen Blase zu kommunizieren. Dort kennen wir uns am besten aus. Menschen ohne Uni-Abschluss werden schon irgendwie mit-erreicht. Ganz so einfach ist das nicht. Andere Blase – andere Interessen und andere Ansprache – sowohl in Bezug auf den Informationskanal als auch auf die Sprache.
Wissenschaftliche Umgangsformen werden nicht gelehrt
Diskussionen über Praktiken der Wissenschaftskommunikation sind nicht selten. Soziale Gerechtigkeit und Exklusion ist leider weniger ein Thema. Ethnische Minderheiten, sozio-ökologisch Benachteiligte und Frauen bekommen das am häufigsten zu spüren. In Gymnasien gibt es wissenschaftliche Workshops, andere Schulformen gehen leer aus. In Bildungsdebatten kommen Berufsschulen kaum vor. Es ist zur Praktik geworden. Nicht erreichte Zielgruppen bekommen erst gar nicht die Chance wissenschaftliche Umgangsformen zu lernen oder Interesse dafür zu entwickeln.
Das Projekt „Wissenschaft für alle“ von Wissenschaft im Dialog in Kooperation mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) macht deutlich: Viele Menschen mit niedrigerem Bildungsabschluss fühlen sich von der Wissenschaftskommunikation nicht angesprochen. Aussagen, wie die Folgenden sind Standard: Das Event oder der Vortrag sei nichts für sie. Sie würden nichts verstehen, weil sie mit den wissenschaftlichen Fachwörtern nicht vertraut seien. Vorkenntnisse fehlen. Wissenschaft wird als Praktik der Elite angesehen zu der keinerlei Verbindung besteht. Oder sie fühlen sich schlichtweg nicht wohl in einem Museum. Sie gehen davon aus, dass in einem Museum bestimmte Kleider und Benehmen vorausgesetzt seien. Andere meinen, dass manche Kommunikation Rassismus reproduziert. Sie sei zu europazentrisch. Zum Beispiel würden Afrikaner*innen häufig auf Sklaverei reduziert.
Alle sollen von Wissenschaft profitieren
An die Emotionen, die durch Wissenschaftskommunikation hervorgerufen werden, denken Organisationen und Institutionen häufig nicht. Das ist schade und unakzeptabel. Solange öffentliche Gelder die Forschung finanziert, sollten alle etwas davon haben. Leider ist die Wissenschaft davon weit entfernt. Es beginnt schon bei der Erforschung. Studien über nicht erreichte Zielgruppen gibt es. Forschung darüber, wie Wissenschaft alle erreicht, ist ausbaufähig. Zwar gibt es einige Studien in diese Richtung. Es fehlt jedoch die konkrete Erforschung von WissKomm-Projekten. Nur so können Institute dahinterkommen, ob die WissKomm-Angebote tatsächlich funktionieren. Das Projekt „Wissenschaft für alle“ analysiert das ausführlich.
INFO – Projekt „Wissenschaft für alle“
Das Projekt „Wissenschaft für alle“ erforschte mit drei Pilotformaten, wie bisher nicht erreichte Zielgruppen angesprochen werden. Die Formate waren: eine Forschungsrally in Spandau, ein Science-Pub-Quiz in Karlsruhe und ein Science & Poetry Slam in Berlin. Neben Berichten entwickelten die Forscher ein Wimmelbild mit Ergebnissen, was bei der Kommunikation zu beachten ist. Zum Beispiel auf eine zielgerechte Ansprache und Gestaltung achten, Kommunikationskanälen etablieren und den Zeitpunkt sowie den Ort eines Events gut erreichbar organisieren.
All die Theorie nutzt nichts, wenn sie nicht angewendet wird. Zuallererst steht die Frage im Raum: Was erreicht meine WissKomm? Hilfreich für Wissenschaftsorganisationen ist die Diversity Scorecard, entwickelt aus den Ergebnissen des Projekts „Wissenschaft für alle“. Sie ist als Entwurf und nicht als fertiges anwendbares Produkt zu verstehen. Für den Projektleiter Philipp Schrögel ist es wichtig zu betonen, dass das Anregungen seien.
Kaum Bewusstsein für nicht-erreichte Zielgruppen
Seine Botschaft: „Man muss nicht alles perfekt machen. Über das ein oder andere nachzudenken, hilft schon viel.“ Strategien für eine erfolgreiche Wissenschaftskommunikation sei immer eine Zeit- und Ressourcenfrage. Insgesamt werde wenig Wissenschaftskommunikation für nicht erreichte Zielgruppen betrieben. Nur für einzelne Bevölkerungsgruppen gibt es ein paar Aktivitäten wie zum Beispiel den Girls-Day. Aber es gibt kaum ein Bewusstsein in der Breite und wenig bis keine übergreifenden Aktivitäten. Bereits mit kostengünstigen Ressourcen könnte eine Einrichtung Wissenschaft inklusiver kommunizieren. Kleinigkeiten reichen oft aus, zum Beispiel indem die Zeit des Events angepasst wird.
Ich hoffe, dass mehr Institutionen und Organisationen auf die Ergebnisse der Studie zurückgreifen. Ob es getan wird, hängt von der Zeit ab. Diese bleibt oft nicht. Oder besser: sie wird nicht investiert. Fehlen Forschungsgelder dafür oder wird es nicht als wichtig angesehen? Wenn Forschungseinrichtungen kommunizieren, ist manchen nicht bewusst, dass sie mit ihrer Strategie nicht alle erreichen.
Eigene Position reflektieren
Nicht nur ihre Bubble hindert sie daran. Viel mehr: die Strategie . Gerade wenn die Zielgruppe einer Organisation weit weg erscheint, muss sie und ihre Stakeholder genau analysiert und mit ihnen auf Augenhöhe gesprochen werden. Dadurch erfahren die Kommunikatoren, was die Zielgruppe wirklich möchte. „Zuhören ist ein elementarer Teil, genauso wie die eigene Position zu reflektieren“, erläutert Philipp Schrögel. Die Wünsche sollten nicht auf dem Papier bleiben, sondern umgesetzt werden. Am besten funktioniert das Zuhören, wenn mit den Menschen vor Ort in ihrer gewohnten Umgebung respektvoll gesprochen wird. Das ist aufwendig, lohnt sich aber langfristig für die Kommunikationsstrategie und für die Wissenschaft. Verstehen fördert Vertrauen.
Um das zu erreichen, ist es wichtig Distanz abzubauen – also miteinander zu sprechen – auf Augenhöhe. Am besten geht das, wenn dieselbe Sprache verwendet wird. Dazu muss eine Organisation ihre Zielgruppe genau kennen. Eine Kommunikationsstrategie kommt da nicht herum. Apropos kennen: Viele Menschen aus der nicht erreichten Zielgruppe kennen zwar Museen, Science Slams oder andere WissKomm-Events, sie sind ihnen jedoch alltagsfern. Sie erscheinen ihnen nicht relevant. Das kann damit zusammenhängen, wie sie aufwachsen und welche Erfahrung sie gemacht haben – kurz dem Habitus. Er beeinflusst, wie Menschen sich verhalten. Der Soziologe Pierre Bourdieu prägte das Konzept.
Vertrauen zu Stakeholdern
Sich über den Habitus Gedanken zu machen, hilft zu verstehen warum WissKomm manche Menschen nicht erreicht. Daraus lässt sich ableiten, wie die richtige Ansprache funktioniert. Menschen wollen unterbewusst verstehen, warum zum Beispiel ein WissKomm-Event relevant für sie ist. Meist geschieht das über Stakeholder. Zu diesen Menschen hat die nicht erreichte Zielgruppe Vertrauen. Verläuft ein Projekt über sie, ist es einfacher Menschen zu erreichen. Und zwar an dem Ort, wo sie sich aufhalten. Damit Menschen ohne Uni-Abschluss nicht mehr nur mit-erreicht, sondern erreicht werden. Eben Wissenschaft für alle!
Quellen:
Auf den Punkt gebracht – #Wissenschaftskommunikation nach #Corona
WissKomm Diversity-Scorecard–Leitfragen zur Analyse des Projekts „Wissenschaft für alle“
Wissenschaft für alle?! Zehn Erkenntnisse zur Ansprache neuer Zielgruppen
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